Am 1. Juni war auf Deutschlandfunk Kultur in der Reihe „Zeitfragen“ der Beitrag mit dem Titel „Verschwiegene Nachkriegsgeschichte“ über Föhrenwald zu hören:
Eine bayerische Kleinstadt südlich von München: Wolfratshausen. Unser Autor Alois Berger ging hier zur Schule – aber er erfuhr nichts davon, dass nach 1945 mehrere tausend Juden dort in einer Art Schtetl gelebt hatten. Erst heute wird darüber gesprochen.
Zwölf Jahre lang, von 1945 bis 1957, lebten im oberbayerischen Wolfratshausen zeitweise mehr als 5000 Juden – nach dem Krieg wohlgemerkt, nach Auschwitz und Dachau. Föhrenwald hieß die Siedlung, eng bebaut auf einem halben Quadratkilometer. Die Juden nannten sie Ferenwald, weil sich das auf jiddisch besser aussprechen lässt. Es war ein jüdisches Schtetl, sagen sie, das letzte in Europa.
Ich bin in Wolfratshausen aufgewachsen, einer 17.000-Einwohner-Stadt südlich von München. In Föhrenwald bin ich zur Schule gegangen. Aber ich war ahnungslos, auch meine Freunde und meine Mitschüler waren ahnungslos. Denn im Oktober 1957, als die letzten Juden gegen ihren Willen umgesiedelt worden waren, war der Ort in Waldram umgetauft worden. Selbst die Straßen bekamen neue Namen.
Föhrenwald wurde von der Landkarte gestrichen. Föhrenwald wurde aus der kollektiven Erinnerung gelöscht. Meine Eltern, meine Verwandten, meine Lehrer, niemand hat jemals Föhrenwald erwähnt. Erst seit einigen Jahren zerbröckelt die Schweigemauer, die Erinnerung kehrt zurück. Seitdem suche ich nach dem verborgenen Teil meiner Heimat und komme aus der Fassungslosigkeit nicht heraus.
Auf dem Foto: Zwillinge in Föhrenwald